Die Wiederkehr des Gleichen und Ähnlichen. Zur Geschichte des Historismus in der Bielefelder Architektur des 19. Jahrhunderts
Andreas Beaugrand
„Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen.“(1) (Johann Wolfgang von Goethe, 1829)
Historistische Trutzburg Theater.
Alle Fotos (wenn nicht anders angegeben): Jonas Hartz
Andante sostenuto: Vorbemerkung
In der Folge der Aufklärung hat der geistesgeschichtliche Historismus im 18. Jahrhundert eine intensive Reflexion über sich zunehmend verändernde Zeitläufte angeregt, die zusammen mit den Konsequenzen einer ungeheuren wirtschaftlichen Entwicklung Lebensauffassungen, Gesellschaftsstrukturen, Geschmack und Stil veränderten. Dem daraus im 19. Jahrhundert entstandenen stilgeschichtlichen Historismus wurde lange Zeit vorgeworfen, nicht mehr als schwülstige und kitschige Adaptionen seinerzeit verherrlichter historischer Bau- und Kunstformen zu sein, um das „überhandnehmende Maschinenwesen“ in den Griff zu bekommen. Tatsächlich geht es um mehr.Die Industrielle Revolution, die seit der Eröffnung der Köln-Mindener-Eisenbahn im Oktober 1847 eine besondere Dynamik erlangte,(2) hat aus Bielefeld im „guten soliden alten Westphalen“ zwar kein „großes Manchester oder Birmingham“ gemacht, wie der heimische Chronist Wilhelm Fricke noch 1887 prophezeit hatte,(3) aber doch die städtische Struktur und das Bild der Stadt wesentlich und nachhaltig verändert.(4) Die Neustrukturierung der Gesellschaft in Unternehmer, Angestellte und Arbeiter – Gesellschaftsschichten, die es zuvor so nicht gab –, die wachsende Wirtschaft und das rasante Wachstum der Stadt entfachten einen wahren Bauboom, dessen architektonische Ausformungen sich aus geistes-wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Gründen an historischen Stilen orientierten, die man als repräsentativ, wirkungsvoll und ‚deutsch‘ empfand.(5) Forschung und technische Erfindungen, die sich sprunghaft vergrößernden Bevölkerungszahlen, die zwangsläufig zu einem erheblichen Mehrbedarf an Gebrauchs- und Luxusgütern führten, die extrem gestiegene Mobilität im Eisenbahn- und internationalen Dampfschifffahrtszeitalter sowie der davon profitierende europäische Binnenhandel wirkten ebenso prägend auf das ‚Gesicht der Stadt‘, wie die politischen Machtverschiebungen in der Restaurationszeit, im Vormärz, in Imperialismus und Nationalismus nach der Gründung des Deutschen Reichs am 18. Januar 1871. Die vielfältigen Ausformungen des stilistischen Historismus in dieser Zeit hatten zum Ziel, den gesellschaftlichen Unsicherheiten und kulturellen Orientierungsschwächen im 19. Jahrhundert durch den Rückgriff auf bereits ‚bewährte‘ historische Stilmuster stabile Werte entgegenzusetzen.(6) Das Großbürgertum wollte sich rückblickend gegenüber dem Adel behaupten und aktuell von der Angestellten- und Arbeiterschaft abgrenzen. „Im Blick auf die Gründerjahre des späten 19. Jahrhunderts werden die Wechselwirkungen zwischen Industrialisierung und Urbanisierung, technologischen Innovationen und sozialem Strukturwandel sowie der Suche nach baulicher Gestaltung der veränderten Lebenswelt als fundamentale Herausforderung deutlich.“(7)
Seine Hauptbedeutung bekam der stilistische Historismus unter dem Eindruck der dem Mittelalter zugewandten Romantik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.(8) Die Thematisierung der Geschichte und der vergangenen Kulturleistungen genoss in Folge der Industriellen Revolution höhere Priorität als die Bemühungen um neue, der Zeit entsprechende Bau- und Kunstformen, die erst seit 1919 im von Walter Gropius in Weimar gegründeten Bauhaus begannen.(9)
Allegro molto: Der geistesgeschichtliche und der stilistische Historismusbegriff
Stilgeschichtlich unterscheidet man seit 1970 mit der österreichischen Kunsthistorikerin Renate Wagner-Rieger (1921–1980)(10) steht für die Loslösung vom Klassizismus und zeigte Kombinationen aus Neogotik und Neorenaissance mit stilfremden maurischen oder byzantinischen Elementen. Der Strenge Historismus versuchte, ‚reine Elemente‘ des vergangenen Formvokabulars kunsthistorisch korrekt und objektiv zu verwenden; bevorzugter Bezugspunkt war die Architektur der Renaissance. Der Späthistorismus orientierte sich weitgehend an Manierismus und Barock und führte zu übersteigerter Monumentalität, repräsentativen Erkern, verzierten Risaliten, großen Kuppeln und ausladenden Balkonen an Villen, Fabriken und öffentlichen Repräsentationsbauten.Der seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zumeist kunsthistorisch verwendete Begriff des Historismus geht auf die Geisteswissenschaften mit Ausnahme der Geschichtswissenschaft zurück.(11) Für Friedrich Meinecke (1862–1954), in der Mitte des 20. Jahrhunderts der führende Repräsentant der deutschen Geschichtswissenschaft und Begründer der „Ideengeschichte“, war der kulturhistorische Vorläufer und Initiator des stilgeschichtlichen Historismus der geistesgeschichtlich aufgefasste Historismus – eine auf der Aufklärung basierende moderne geschichtliche Denkweise, ein Wissenschaftsprinzip und dessen Anwendung sowie ein „Lebensprinzip (…), eine neue Schau menschlichen Lebens überhaupt (…) (und) eine geistig-seelische Umwälzung allgemeinster Art. Damit verbunden wurden die Deutschen durch die Erfahrung der napoleonischen Besatzungszeit von „Weltbürgern“ zu „Nationalisten“,(12) in deren Folge sich neben den Lebensstilen, politischen Überzeugungen und wirtschaftlichen Entwicklungen die Architekturstile insbesondere der Industriestädte und einer Stadt wie Bielefeld radikal veränderten.
Neben den Rückgriffen auf die verherrlichte Antike treten als lnspirationsquellen außereuropäische Kulturen wie die Chinas, der Türkei und sogar Indiens in den Fokus des allgemeinen Interesses. Im ausgehenden 18. Jahrhundert gehörten ägyptische Ornamente zu den Ausdrucksformen der künstlerischen Avantgarde Frankreichs und die aus England kommende Neogotik wurde im deutschen Kulturraum immer beliebter. Man baute ‚gotisch‘, weil ein gotischer Bau die romantische, sich für das Mittelalter begeisternde Fantasie beschäftigte und gotische Formen dem romantisierenden Geschmack besonders entgegenkamen. Noch im Jahre 1836 entschied man sich, das Wahrzeichen des politischen Lebens und repräsentativste Bauwerk Englands, den New Palace of Westminster in London (die heutigen Houses of Parliament), in neogotischem Stil mit Elementen von Klassizismus und Renaissance erbauen zu lassen.(13) In fürstlichen Parks entstanden Rittersitze wie das zwischen 1773 und 1813 errichtete Gotische Haus des Fürsten von Anhalt-Dessau in Wörlitz.(14) Karl Friedrich Schinkel richtete im Berliner Schloss neugotische Räume für den Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. ein und ließ das von Friedrich II. verbaute mittelalterliche (echt gotische) Schlingrippengewölbe wieder freilegen.(15) Auch seine 1818 entstandenen Entwürfe für ein Denkmal der Befreiungskriege 1814–1817 auf dem Kreuzberg in Berlin waren in Anlehnung an den Stil der Gotik gestaltet.(16)
Die Entwicklung der Stilgeschichte des Historismus ist am eindrucksvollsten in den reich illustrierten Katalogen der internationalen Weltausstellungen abzulesen.(17) Der ersten, 1851 in London veranstalteten Weltausstellung folgte im 19. Jahrhundert noch eine Vielzahl anderer internationaler Kunst- und Industrieausstellungen (etwa 1855, 1867, 1878, 1889 und 1900 in Paris, 1862 in London, 1873 in Wien, 1876 in Philadelphia, 1879 in Sidney, 1884 in oder 1894 in Amsterdam), von denen diejenigen in Paris, London und Wien stilgeschichtlich besonders folgenreich waren.(18) Griechische, etruskische, römisch-republikanische und römisch-kaiserzeitliche Antike, byzantinische Kunst, Romanik, Gotik, das undifferenzierte Mittelalter, deutsche, italienische und niederländische Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus, Japan, China, Indien, der islamische Kulturraum, das alte Ägypten – alle Weltkulturen und Kulturepochen wurden zum Vorbild der Gestalter und Architekten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.(19)
Die Definition der Kunststile einer Epoche wurde bis ins 19. Jahrhundert zumeist retrospektiv von Kunsthistorikern vorgenommen.(20) So war es auch beim stilgeschichtlichen Historismus. Ihm wurde lange Zeit nachgesagt, keine Originalität zu besitzen: „Hat man sich am Griechischen sattgesehen, so springt man der Abwechslung wegen einmal zum Stil der Renaissance, und gelegentlich wieder zurück zum Byzantinischen, um darauf sich dem Rokoko zuzuwenden (…). So entsteht und blüht nicht die Kunst, so geht sie unter,“ lästerte der Düsseldorfer Kunsthistoriker Rudolf Wiegmann bereits 1839(21) und in den Studien zur Sozialgeschichte der Großstadt noch während der 1980er Jahre kamen Überlegungen zur Stadtarchitektur und ihren Ausprägungen nicht oder nur am Rande vor.(22)
Heute jedoch, in den Zeiten nach der Postmoderne, wird der Stil differenzierter betrachtet, zumal Gebäude aus dieser Zeit seltener werden.(23) Möglicherweise waren es die überwiegend eklektischen Ausformungen der Inneneinrichtungen der Häuser und Wohnungen des aufstrebenden neureichen Bürgertums, die zum schlechten Ruf des Historismus beitrugen: Durch fehlinterpretierte Rückgriffe auf Altbewährtes – durch geschmacksverirrte „Trödelläden“ mit „stilgerechten Garnituren“, Kronleuchtern, Quasten, Troddeln und künstlichen Palmen(24) – wurde versucht, ein gewisses Maß an Kontinuität, Stabilität und Werteorientierung aufrechtzuerhalten: Schwüle Gemütlichkeit bei Prunk und Protz.(25)
Baustile des Historismus – die Neoromanik und Neogotik, der Neoklassizismus, die Neorenaissance,(26) das Neobarock und das Neorokoko,(27) zum Jahrhundertende noch ergänzt durch nichteuropäische Stile, etwa aus Indien oder Asien, – ‚verschleierten‘ die Fabrikhallen für industrialisierte Arbeitsprozesse, die Folgen der revolutionären technischen Erfindungen, die ‚Jugend‘ der ungeheuren Wirtschaftskraft und die Unsicherheit der ‚neuen Reichen‘ in ihren Unternehmervillen.
Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/1871 war es im Deutschen Reich mit der Vor-liebe für den französischen Neorokokostil vorbei, wie er noch beim Schloss Marienburg, der von 1858 bis 1869 errichteten romantischen Sommerresidenz der Welfen bei Pattensen,(28) beim Schloss Neuschwanstein im Allgäu, ab 1869 für den bayerischen König Ludwig II. erbaut, oder beim 1892 im Leipziger Musikviertel gebauten Roßbach-Wohnhauses erkennbar ist. Stattdessen erlebte die Neorenaissance sowohl auf den Weltausstellungen der 1880er Jahre als auch in den deutschnational eingestellten Gesellschaftsbereichen ungeahnte Erfolge. Anlässlich der 1876 von dem Münchener Architekten Lorenz Gedon(29) organisierten Ausstellung des Münchner Vereins zur Ausbildung der Gewerke erlebte die Neorenaissance einen Höhepunkt und wurde als Durchbruch zu einer neuen Qualität deutscher Architektur und deutschen Kunstgewerbes gefeiert.(30)
Ganz im Allgemeinen erfüllte die Neorenaissancearchitektur vorwiegend repräsentative Funktionen und fand zahlreiche Anwendung in Bauvorhaben wie Stadtvillen, eleganten Mietshäusern, Theatern, Schulen – in Bielefeld etwa 1867 durch den Neorenaissanceanbau des heutigen Ratsgymnasiums an den Weserrenaissancebau des Grestschen Hofes aus dem Jahr 1585.
Der Historismus war auch in Bielefeld das erste bauliche Phänomen der Hochindustrialisierung, das sich durch stilistische Uneinheitlichkeit und gleichzeitige Vielfalt auszeichnete.(31) Er entstand im Kontext industrieller Expansion und bezog seine Spannungen aus dem Gegensatz zwischen maschineller Fertigung mit zum Teil neu entwickelten Werkstoffen und Surrogatmaterialien(32) sowie der Verwendung historischer Ornamentformen. Aber „mit dem Ersten Weltkrieg ging das tragende Staatssystem unter. In einer sich verändernden Gesellschaft fanden Historismus und Jugendstil, tradierter Stil und neue Stilkonvention keinen Raum mehr.“(33)
Fuga: Architekturbeispiele des Historismus in Bielefeld
‚Neubau‘ der Sparrenburg
Foto: Miriam Steff
Wie in vielen anderen Städten wurde auch in Bielefeld das ‚Große und Ganze‘, die Repräsentanz öffentlichen Selbstbewusstseins ‚großartig‘ gemacht. Von 1842 bis 1880 wurde etwa in Köln der Dom oder von 1844 bis 1885 in Ulm das Münster nach Jahrhunderten des Baustillstands echt gotisch – also stilgetreu – vollendet, in Bielefeld wurde die Ruine der Sparrenburg nach historischen Vorgaben, aber mit modernen Techniken wieder aufgebaut. Schon 1840 hatten Bielefelder Bürger sich darum bemüht, den Turm der Sparrenburg zu erhalten und zu restaurieren.(34) Motivation dafür war u.a. die romantische Lage der Burg, ihr Wert als ‚historisches Denkmal‘ sowie als Zeugnis für die Geschichte des Herrscherhauses, aus dem der Große Kurfürst stammte und schließlich als ‚patriotisches Projekt‘ zur ‚Zierde der Stadt‘. Eine ähnliche Motivkonstellation gab es gut 30 Jahre später beim Ankauf der Sparrenburg durch die Stadt Bielefeld. Der im Jahr zuvor gegründete Historische Verein und der zwei Jahre ältere Verschönerungs-Verein, aus dem später der Verkehrsverein hervorging, setzten sich gemeinsam für den Erwerb und die Erhaltung der Sparrenburg ein. Seit 1743 hatte das Hauptgebäude der Burganlage als preußisches Gefängnis gedient. Durch einen Brand war es 1877 zerstört worden, doch sollte es zu diesem Zweck nicht wiederhergestellt werden.
In den folgenden Jahren engagierten sich der Verschönerungsverein und der Historische Verein für den Wiederaufbau der Burganlage, schließlich auch unterstützt durch die Bielefelder Stadtverordneten. Ein Wettbewerb für das Hauptgebäude, den Palas, wurde ausgeschrieben; man entschied sich schließlich für den Entwurf des Stadtbaumeisters Hillebrand aus Hannover. Der Bau im neogotischen Stil sah einen großen Festsaal, eine ‚Trinkstube‘ sowie Räumlichkeiten für die Sammlungen des Historischen Vereins vor, aus der das Historische Museum und die Kunstgewerbesammlung der Stadt Bielefeld hervorgegangen sind. Der neogotische (im Zweiten Weltkrieg dann zerstörte) Palas wurde 1888 eingeweiht und galt lange Zeit als gelungenes Beispiel für die Verbindung von historisierender Bewahrung und zeitgemäßer Nutzung eines Bauzeugen der allseits verehrten ‚großen Vergangenheit‘.
‚Baukopie‘ Ravensberger Spinnerei
Die Ravensberger Spinnerei wurde 1855 von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen genehmigt und von Bielefelder Kaufleuten als Aktiengesellschaft zur Verarbeitung von Flachs zu Garn für die Textilherstellung in Bielefeld gegründet. Am 15. Januar 1857 begann die Produktion im neu gebauten ‚Fabrikschloss‘ im sogenannten ‚Fabriquengarten‘ an der Bleichstraße. Das Fabrikgebäude erweist sich als nahezu identische Kopie technischer Standards aus Großbritannien und der eines architektonischen Vorbilds aus Schlesien, die der für den Fabrikbau verantwortliche Kaufmann und Ingenieur Ferdinand Kaselowsky (1816 –1877) nach Bielefeld gebracht hat.
Weitgehend unbekannt war lange Zeit der erhebliche Umfang des ‚baugeschichtlichen Zitats‘:(35) Im Herbst 2009 hat im polnischen Myslakowice in Niederschlesien, dem ehemaligen Erdmannsdorf mit dem gleichnamigen Schloss, die letzte Leinenspinnerei und -weberei des Landes Insolvenz angemeldet, die 1839 auf einem dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. gehörenden Gutshof als Maschinenspinnerei zur Versorgung der Heimindustrie mit Garn gegründet worden war.(36) Sie arbeitete seit 1867 mit 14.000 Spindeln und seit 1874 mit über 400 Webstühlen in einem einstöckigen Backsteingebäude, das heute noch existiert. Größe und Konstruktionsweise machen die Erdmannsdorfer Fabrik zu einem herausragenden Zeugnis des frühen preußisch-schlesischen Eisenbaus und einem wichtigen Pionierbau der Industriearchitektur im ehemals deutschsprachigen Raum.
Diese Architektur und die Konstruktion des seit 1844 ebenfalls dort errichteten mehrstöckigen Spinnereigebäudes mit seinen gusseisernen Stützen und Deckenträgern gehört zu den frühesten Konstruktionen seiner Art und war das bauliche Vorbild der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld. Es scheint, als hätte der für die Errichtung der Bielefelder Spinnerei verantwortliche Kaufmann und Ingenieur Ferdinand Kaselowsky seinerzeit fast vollständig die Erdmannsdorfer Fabrik kopiert und die Kopie durch stilistische Elemente des Erdmannsdorfer Schlosses ergänzt und die Bielefelder Variante für eine Produktion mit 22.000 Spindeln vergrößert.(37)
Durch den Strukturwandel seit den 1960er Jahren musste die Ravensberger Spinnerei den Betrieb stark einschränken und 1974 – nach 117 Jahren – den Betrieb ganz einstellen.(38) Zwischenzeitlich war eine Bürgerinitiative gegründet worden, die sich mit beispiellosem Engagement dafür einsetzte, dass die Spinnerei erhalten blieb. Der Bielefelder Architekt Peter Obbelode (1940–2005) wurde 1978 damit beauftragt, das Hauptgebäude für die Volkshochschule und einen Teil der ebenerdigen Werkshallen für das geplante Historische Museum der Stadt Bielefeld umzubauen. 1980 wurde mit dem Umbau begonnen, 1984 wurden VHS und Historisches Museum eröffnet. Heute ist das gesamte Areal des Ravensberger Parks mit Historischem Museum und Volkshochschule, Lichtwerk und Museum Huelsmann, der Neuen Hechelei und einem Teil der Stadtverwaltung ein belebter und viel besuchter Ort in Bielefeld.
Die Capella Hospitalis und das 1899 errichtete Städtische Krankenhaus
Bielefelds rasantes Wachstum während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert spiegelt auch die Geschichte des heimischen Krankenhauswesens wider.(39) Nachdem man 1842 ein ehemaliges Schulgebäude am Sparrenberg zu einem viel zu kleinen „Haus für arme Kranke“ umgebaut und kurz danach, 1853/1854, ein neues Krankenhaus „vor den Toren der Stadt“ am Neumarkt errichtet hatte – dort, wo von 1902 bis 1904 das neue Rathaus gebaut worden ist –, wurde schließlich eine ausreichend große „städtische Krankenanstalt“ außerhalb der Stadt auf dem sogenannten ‚Bielsteinkamp‘ erbaut und am 16. November 1899 eröffnet. An der Oelmühlenstraße entstand das heute noch erhaltene Hauptgebäude, dahinter befand sich auf dem Kamp entlang der Teutoburger Straße in Richtung Rohrteichstraße das „Absonderungshaus für Infektionskrankheiten“ sowie ein „Pavillon für Krätzesyphilis und Irre“, ein ebenfalls heute noch erhaltenes Wirtschaftsgebäude sowie – ganz am Rand des großen Geländes, kurz vor der Rohrteichstraße, das „Desinfections- und Leichenhaus“ – die heutige Cappella Hospitalis.(40)
Zusammen mit dem Krankenhaus wurde auch das Desinfections- und Leichenhaus im historistischen, der Protorenaissance Italiens nachempfundenen Baustil errichtet. Es diente der Lagerung von Leichen und im Kontext protestantischer Glaubensrituale zur Aussegnung. Von 1949 bis 1990 wurde das Gebäude als Teil des Instituts für Pathologie genutzt und 1986 vom Land Nordrhein-Westfalen unter Denkmalschutz gestellt. Nach dem Ende der Nutzung stand das Haus lange Zeit leer und drohte zu verfallen. Der 1999 gegründete Verein capella hospitalis e.V. finanzierte 2002/2003 die Restaurierung aus Spendengeldern des seitdem Capella Hospitalis genannten Gebäudes, in dem Ausstellungen, Vorträge, Tagungen und Konzerte veranstaltet werden.(41)
Land- und Arbeitsgericht, Detmolder Straße/Niederwall
Auch die Geschichte der Bielefelder Gerichte ist komplex. Das wird schon dadurch offensichtlich, dass ihre Standorte vielfach verlegt wurden: „Das Go- und Stadtgericht Bielefeld tagte von 1660 bis 1821 im Rathaus der Neustadt Bie¬le¬feld, das sich zwischen den Häusern Siekerstraße 2 und Papenmarkt 12 befand. (…) Das Kreisgericht Bielefeld tagte bis zum 31. Dezember 1869 im Rathaus am Alten Markt. Am 1. Januar 1870 zog es in das neue Gerichtsgebäude an der Detmolder Stra¬ße (heute Arbeitsgericht). (…) 1877 bis 1879 wurden das Gerichtsgebäude II und das Gefängnis an der Gerichtstraße errichtet. Das neugeschaffene Landgericht Bielefeld nahm am 1. Oktober 1879 seine Tätigkeit im Gebäude des Kreisgerichts Bielefeld (Gerichtsgebäude I, Detmolder Straße 9) auf. Das zum selben Zeitpunkt geschaffene Amtsgericht Bielefeld – im Stil des Historismus aus Ziegeln errichtet – zog in das Gerichtsgebäude II an der Gerichtstraße.“(42)
Das weitere Anwachsen der Bevölkerung und der damit verbundene Anstieg des Geschäftsanfalles der Gerichte führte dann zwischen 1914 und 1917 zum Bau des neuen Landgerichtsgebäudes an der Detmolder Stra¬ße/Ecke Niederwall bzw. Ulmenwall – in einem erkennbar sachlicher werdenden späten Stil des Historismus, bei dem jedoch noch Zitate der Weserrenaissance zu entdecken sind. Seit der Einweihung des neuen Gerichtsgebäudes am 1. Oktober 1917 befand sich das Amtsgericht Bielefeld in den beiden Amtsgerichtsgebäuden I (Detmolder Straße) und II (Gerichtstraße).
Pauluskirche
Nach Inbetriebnahme der Cöln-Mindener-Eisenbahn, der Anlage des ‚Bahnhofs bei Bielefeld‘ (1847), der Errichtung der Ravensberger Spinnerei (1854), der Mechanischen Weberei (1862) und der darauffolgenden Diversifizierung ‚am leinenen Faden‘ wurden in der sogenannten Feldmark nordöstlich der Altstadt zahlreiche neue Fabriken gegründet, für deren Arbeiter- und Angestelltenschaft nicht nur Wohnraum, sondern auch neue Kirchen erforderlich waren, da die ursprünglichen innerstädtischen Kirchen die große Zahl der Gläubigen nicht mehr aufnehmen konnten.(43)
Die erste dieser neuen Kirchen war die im neogotischen Stil gestaltete evangelisch-lutherische Pauluskirche der Nikolai-Vorstadtgemeinde. Für die Kirche, die an der späteren Kaiserstraße – der heutigen August-Bebel-Straße – errichtet werden sollte, wurde Ende der 1870er Jahre ein Bauwettbewerb ausgeschrieben, den der Hannoveraner Baumeister Rudolph Eberhard Hillebrandt gewann.(44) Im August 1881 wurde dann der Grundstein für eine Kirche gelegt, deren Bau in einem Arbeiterviertel durch Spenden Bielefelder Unternehmer und Kaufleute als Zeichen gegen die Sozialdemokratie verstanden und finanziert worden ist.(45) Nach nur zweijähriger Bauzeit konnte die Pauluskirche am 18. Oktober 1883 eingeweiht werden. Die auf einem kreuzförmigen Grundriss errichtete schlichte neogotische Kirche hat die große Zerstörungswelle der Bombenangriffe auf Bielefeld im Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschädigt überstanden, sodass hier die historistische Formensprache des Architekten noch heute unverändert ablesbar ist.
St. Josephskirche
Mehr als ein Vierteljahrhundert später wurde seit 1908 die Kirche der katholischen Kirchengemeinde St. Joseph im Stil der Neoromanik mit Stilelementen der Gotik und des Jugendstils in einem früheren Neubaugebiet etwas weiter nördlich von der Pauluskirche errichtet. Sie entstand nach einem Entwurf des Kölner Regierungsbaumeisters Carl Moritz, die Grundsteinlegung fand am 8. November 1908 statt und am 11. Oktober 1915 – nach vergleichsweise langer Bauzeit – wurde die Kirche geweiht.
Die St. Josephskirche besteht aus einem hohen Hauptschiff mit kassettiertem Rundtonnengewölbe und zwei Seitenschiffen und hat einen Giebelturm. An den Eingangsbereich unter dem Turm sind beidseitig Kapellen angefügt, die 1929 durch Schließung der Seiteneingänge entstanden und zunächst als Marienkapelle und Kriegerehrenmal ausgestaltet waren. Das St.-Josephs-Heim war durch einen überdachten Bogengang mit der Empore der Kirche verbunden.
Beim Bombenangriff auf Bielefeld am 30. September 1944 wurde die Kirche weitgehend zerstört, jedoch bis 1953 – wegen der stark gestiegenen Gemeindemitgliederzahl um zwölf Meter verlängert – wiederaufgebaut.
Bauten des Historismus in Bethel
Initiator und lange Zeit Spiritus Rector der intensiven Baumaßnahmen in Bethel war zunächst der Theologe Friedrich von Bodelschwingh (später: „der Ältere“, 1831–1910). 1872 war er nach einer politischen Karriere als Abgeordneter des preußischen Landtags Leiter der 1867 gegründeten Evangelischen Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische bei Bielefeld geworden, die er 1874 in Bethel (hebräisch: Haus Gottes) umbenannte. Ausgehend vom Mutterhaus Sarepta und dem Bruderhaus Nazareth entwickelte er die Anstalt zu einer der bedeutendsten Einrichtungen der Inneren Mission in Deutschland.(46)Für seine unzähligen innovativen Ideen für die Hilfe von psychisch Kranken, körperlich und geistig Behinderten, Obdachlosen und Alkoholikern (‚Tippelbrüder‘) benötigte er in Gadderbaum Wohn-, Lebens- und Arbeitsraum („Arbeit statt Almosen“) und initiierte eine intensive Bautätigkeit; in den 1880er Jahren entstanden die Häuser Sarepta, Nazareth, das Assapheum und die Brocken- und Altkleidersammlung. 1884 war er Gründungsmitglied des Evangelischen Kirchenbauvereins und gründete 1885 mit der Bausparkasse für Jedermann die erste deutsche Bausparkasse überhaupt.(47)
Auf Initiative Friedrich von Bodelschwinghs war der Bielefelder Architekt Karl Siebold (1854–1937) seit 1881 Mitarbeiter und von 1891 bis 1921 Leiter der Bauabteilung der Bodelschwinghschen Anstalten (heute: Stiftungen), der gleichsam als Bodelschwinghs Bauleiter die Betheler Architektur des 19. Jahrhunderts gestaltete und die Bauideen Bodelschwinghs und die der mit ihm befreundeten Architekten in die Wirklichkeit umsetzte.(48)
1897 war er für die Errichtung des bis heute als Versammlungshaus und Festsaal genutzten Assapheums(49) mit 1.500 Sitzplätzen und 1898 (offenbar eigenständig) für den Bau der Martinikirche zuständig, die 1909 durch einen (heute weitgehend wieder abgebrochenen) Glockenturm und ein südliches Seitenschiff erweitert wurde und nach ihrer Schließung im Jahre 2002 seit 2005 das Restaurant Glück und Seligkeit beherbergt.
1906 wurde Siebold zudem Leiter des neugegründeten Provinzialkirchlichen Bauamts der Evangelischen Kirche von Westfalen. In dieser Funktion prüfte er fast alle Bauentwürfe für Kirchenneubauten und deren künstlerische Ausstattung. Bis 1931 war er für das Amt als Gutachter tätig. Neben seiner Tätigkeit in Bethel, die auch Lösungen für die technische Infrastruktur innerhalb der Anstalten umfasste, wurde Siebold bald zu einem gefragten Architekten evangelischer Kirchenneubauten in ganz Deutschland und Österreich, bei deren Ausstattung er jeweils Wert auf gute künstlerische Gestaltung nach dem vorherrschenden Geschmack durch Mosaiken, Ausmalungen und Glasfenster legte.
Es ist naheliegend, dass Bodelschwingh sich so, wie er aus Bibeltexten die Namen und Leitmotive seiner Arbeit in Bethel entnahm (Johannes 6,12: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren geht“), auch bauästhetisch an dem orientierte, was der evangelischen Kirche in Preußen am meisten behagte. Und das waren (staatskonform) zu dieser Zeit neben den Prinzipien der Freimaurerei die Baustile der Romanik und Gotik.
Sarepta
So wurde – thematisch und theologisch passend – auf einer Anhöhe in Bethel zwischen 1872 und 1875 das große Diakonissenhaus Sarepta („Schmelzhütte“(50)) als Ort des „Gebens und Nehmens“, „zwischen Himmel und Erde“ in der Grundrissform eines Kreuzes errichtet, in dessen Zentrum sich die Kapelle befindet. Es entstand nach Bauplänen eines „Baumeisters Hartmann“, dessen Herkunft und Bedeutung bisher ungeklärt ist, als Kranken- und Mutterhaus der Westfälischen Diakonissenanstalt nach dem Vorbild spätmittelalterlicher Hospitäler im Stil der Neogotik. Das Haus Sarepta wurde in der Zeit seines Bestehens vielfach umgebaut und durch Anbauten erweitert, weil der Raumbedarf stetig stieg.(51)
Während des Bombenangriffs auf Bielefeld am 30. September 1944 wurde der Gebäudekomplex mit Ausnahme des großen Speisesaals und seiner historischen Wandbemalung weitgehend zerstört, doch konnte das Haupthaus bis 1949 wiederhergestellt werden. Das Erdgeschoss und die erste Etage werden heute von Betheler Ausbildungsstätten genutzt. Im Dachgeschoss befinden sich noch Diakonissenwohnungen und ebenso nach wie vor die Kapelle, die zu kirchlicher Nutzung vermietet wird. Die eigentliche Funktion des Mutterhauses erfüllt heute das Haus der Stille neben der Zionskirche. Die Zukunft des sanierungsbedürftigen Hauses ist angesichts des aktuellen Neubaubooms in Bethel ungewiss.
Zionskirche
Der Bau der Zionskirche(52) im neoromanisch-preußischen Rundbogenstil, 1883/1884 errichtet aus den hart gebrannten Ziegeln der heute legendären Bethelziegelei (früher „An der Tonkuhle“ gelegen), verdeutlicht einmal mehr die strategische Zielstrebigkeit, das Durchsetzungsvermögen und die Kommunikationsfreudigkeit Friedrich von Bodelschwinghs. Nachdem die im Diakonissenhaus Sarepta vorhandene Kapelle zu klein geworden war und eine weitere kleine Kapelle im Zionswald für die stetig zunehmende Bethelbevölkerung nicht mehr ausreichend Platz bot, beschloss Bodelschwingh, nach eigenen Entwürfen und möglicherweise in Abstimmung mit königlichen Vertrauten in Berlin, eine neue Kirche zu bauen. Er gewann den Hannoveraner Architekten Heinrich Wegener, kostenlos die Bauzeichnungen anzufertigen, sowie insgesamt etwa 16.000 Stifter zur Baufinanzierung und schon am 16. Juli 1883 legte sein alter Spielgefährte aus Kindertagen, Kronprinz Friedrich von Preußen, den Grundstein. 16 Monate später, am 28. November 1884, wurde die Kirche von Prinz Albrecht von Preußen ihrer Bestimmung übergeben.(53)
Finale Andante: Zwei außergewöhnliche Ausnahmeerscheinungen – das Bielefelder Rathaus und das Stadttheater
Auf der Website der Stadt Bielefeld berichtet die Stadtverwaltung über das Bielefelder Rathaus: „Das Alte Rathaus, das am 12. Oktober 1904 festlich eingeweiht wurde, ist ein weiteres, das Stadtbild prägende Gebäude. Es ist im freimaurerischen Baustil der ‚Alten königlichen Kunsttätigkeit‘ errichtet worden. Als ein Kommunalbau, der zugleich ein steinernes Lehrgebäude freimaurerischen Denkens und Handelns verkörpert, ist es in dieser Gesamtheit und Konsequenz einzigartig in Europa.“(54)
Dies gelang vermutlich vor allem deshalb, weil der auf den ersten Blick historistisch anmutende und tatsächlich historische Stile zitierende Rathausbau ‚von langer Hand‘ in Baustil und Symbolik der Freimaurerei vorbereitet und von allerhöchster Seite, wenn nicht sogar durch den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen, 1831–1888) unterstützt worden ist.(55) Friedrich III., der in seinem Todesjahr 1888 99 Tage lang König von Preußen und deutscher Kaiser gewesen ist und wegen seiner demokratischen und liberalen Haltung allgemein sehr verehrt wurde, war Mitglied der Großen Landesloge von Deutschland und hatte gute Kontakte nach Bielefeld, etwa auch zum Bethelgründer Friedrich von Bodelschwingh dem Älteren, den er aus Kindertagen kannte.(56)
War man in der regionalen Geschichtsforschung bisher weithin der Auffassung, dass das Bielefelder Rathaus von „nicht genau identifizierbaren Beteiligten“ geplant worden sei,(57) kann nunmehr als nahezu sicher angenommen werden, dass der seit 1899 in Bielefeld tätige Stadtbaurat Ernst Ritscher (*1863 in Liebenau an der Weser, †1924 in Locarno) wesentliche Bedeutung und in baulichen wie stilistischen Fragen die Hauptverantwortung für den Neubau hatte:(58)
Ernst Ritscher hat nach dem Besuch des Realgymnasiums in Hannover von 1883 bis 1887 an der Technischen Hochschule in Hannover Architektur studiert und war ein Schüler des hannoverschen Architekten Conrad Wilhelm Hase (1818–1902), der bis heute als einer der bedeutendsten Verfechter der Neogotik im niedersächsischen Raum gilt.(59) Protegiert durch seinen Professor, wurde Ernst Ritscher schon 1888 Regierungsbauführer in Hannover und 1892 Regierungsbaumeister in Deutsch Eylau, dem heutigen Iława in Polen, der Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises in der Woiwodschaft Ermland-Masuren. 1897 wurde Ritscher auf eigenen Wunsch aus dem Staatsdienst entlassen, um zunächst als Stadtbauinspektor in Frankfurt am Main tätig zu werden. Von 1899 bis 1908 wirkte er dann als Stadtbaurat in Bielefeld(60) und leitete hier eine Vielzahl von Bauprojekten: von 1901 bis 1904 den Bau des durch den Berliner Architekten Bernhard Sehring geplanten Stadttheaters, die Kanalisation, den Straßenbau mit neuer Straßenbahn, einige Industrie- und Schulbauten sowie – zunächst zusammen mit dem Architekten Max Fritsche – das Rathaus der Stadt Bielefeld.
Entscheidend für die stilistische Konzeption des Bielefelder Rathauses ist, dass Ernst Ritscher seit 1885 Mitglied der Bauhütte zum weißen Blatt e.V. in Hannover – auch Hannoversche Bauhütte genannt – gewesen ist, ein 1880 unter Führung von Conrad Wilhelm Hase gegründeter Architektenverein, in dessen Vereinsnamen eine Anlehnung an die Freimaurerloge Friedrich zum Weißen Pferde (Nr. 19 im Orient Hannover) vermutet wird.“(61) Der Architektenverein und die Logen in Hannover pflegten wie die befreundete Johannisloge Wittekind zur Westfälischen Pforte in Minden intensive und gute Kontakte zum preußischen Königshaus, zu Kaiser Wilhelm I. und insbesondere zum Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der 1888 schließlich doch noch an die Macht kam, wenn auch wegen seiner Krebserkrankung nur für kurze Zeit. Friedrich Wilhelm fühlte sich durch seine Mitgliedschaft bei den Freimaurern und als Protektor der drei altpreußischen christlichen Logen den Grundgedanken der Vernunft und der Aufklärung eher verpflichtet und beförderte seine Ideen in Bielefeld, indem er das Signal dafür im neuen Rathaus setzte. Damit dies aber nicht zu augenfällig wurde, hat man die an sich unübersehbaren freimaurerischen Zeichen und Symbole hinter dem Baustil der sogenannten ‚Deutschen Renaissance‘ und deren manieristische Phase camoufliert.(62)
Mit Unterstützung aus Berlin, durch den Magistrat der Stadt Bielefeld und nicht zuletzt durch freimaurerische Förderung aus Hannover, Minden und Bielefeld führte Ernst Ritscher für die gemeinsame Errichtung von Rathaus und Theater noch bis 1900/1901 verschiedene planerische Untersuchungen durch und holte eine Reihe von Gutachten ein, etwa bei dem seinerzeit international anerkannten österreichischen Architekten, Stadtplaner, Städtebau- und Kulturtheoretiker Camillo Sitte (1843–1903). Schließlich wurden die Baupläne für das Rathaus von ihm zusammen mit dem Architekten Max Fritsche und später mit Gustav Herzbruch – dem späteren Stadtbaumeister Bielefeld – unterzeichnet. Fritsche war bereits im Sommer 1903 von seinem Amt zurückgetreten, sodass Stadtbaurat Ernst Ritscher alleinverantwortlicher Baumeister des Bielefelder Rathauses gewesen ist.(63)
Am 27. März 1901 beschloss die Stadtverordnetenversammlung auf der Basis des zweiten bzw. dritten Vorentwurfs, dessen detaillierte Grundplanung bereits am 2. Februar 1901 vorgelegt worden war, den Bau von Rathaus (an der Viktoriastraße) und Stadttheater (an der Ecke Neumarkt/Brunnenstraße). Am 14. Juni 1902 fand am heutigen Niederwall in Gegenwart des preußischen Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Staatsminister Eberhard von der Recke von der Horst, des Wirklich Geheimen Oberregierungsrates Professor Dr. Hinzpeter(64) und einer Reihe weiterer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens die feierliche Grundsteinlegung des neuen Rathauses ganz im Zeichen der Freimaurerei statt.(65) Dr. Rudolf Stapenhorst (1864–1944), seit 1895 Zweiter Bürgermeister der Stadt Bielefeld und Mitglied des Magistrats, bediente sich bei den Hammerschlägen der klassischen freimaurerischen Dreiheit: „Auf festen Grund, aus hartem Stein, ein starker Bau“. Der Beigeordnete Erich Toerner, Mitglied des Magistrats und deputierter Meister der Bielefelder Loge Armin zur deutschen Treue, fügte die „drei kleinen Lichter der Freimaurerei“, mit der jede Loge eröffnet wird, hinzu: „Weisheit leite diesen Bau, Schönheit ziere ihn, Stärke führe ihn aus“ und Stadtbaurat Ernst Ritscher, ebenfalls Mitglied des Magistrats, sagte abschließend: „Arbeit und Kunst mit Vergunst“.
Mit Unterstützung vieler Beteiligter wurde das Rathaus in vergleichsweise kurzer Bauzeit von zwei Jahren errichtet; bereits am 2. September 1903 wurde das Richtfest gefeiert. In der anlässlich der Einweihung des Rathauses am 12. Oktober 1904 erschienenen und von Oberbürgermeister Gerhard Bunnemann (1842–1925) und Ritscher unterzeichneten Festschrift heißt dazu: „Die Architektur zeigt eine Mischung deutscher Renaissanceformen mit spätgotischen Motiven, wobei vielfach Anklänge an Bauformen aus der besten Zeit alter Bielefelder Kunsttätigkeit zu finden sind.”(66) Damit wies er zugleich auf damals zeitgenössische und heute noch existierende Bielefelder Bauten im freimaurerischen Baustil hin, die beispielsweise an der Oelmühlen-, Bielstein- und Rohrteichstraße oder im Bielefelder Westen, etwa an der Großen-Kurfürsten-Straße, errichtet worden waren.(67)
Zugleich wird auf diese Weise offensichtlich, dass Oberbürgermeister Bunnemann den geistig komplexen freimaurerischen Kontext des Rathaus- und Theaterneubaus gekannt und gefördert hat, unterstützt von den Freimaurern Ritscher, dem Zweiten Bürgermeister Dr. Rudolf Stapenhorst, den Stadtverordneten Theodor Droop(68) und Magistratsmitglied Erich Toerner sowie den „mindestens teilweise Eingeweihten (…), Max Fritsche, Bildhauer Seifert und wohl auch der Architekt des Stadttheaters, Bernhard Sehring.“(69)
Der ‚Decoration‘ der Fassaden- und Gebäudeteile, den Skulpturen, Symbolen und Bildern sowie dem gesamten äußeren Erscheinungsbild des Rathauses begegnete man seitdem lange Zeit mit großer Skepsis, weil man es für „einen eklektizistischen, d.h. zusammengestoppelten inhaltslosen Bau (… hielt), dessen Schwerpunkt auf der heimischen Weserrenaissance“ beruhe.(70) Die Bielefelder Kunsthistorikerin Rosa Schumacher (Rosinski) ordnete den Rathausbaustil noch 1989 der Weserrenaissance zu(71) – ein Irrtum, dem der Bielefelder Architekt Karl-Heinz Kruse (1915–2002) 1991 nochmals aufsaß, indem er „das Rathaus für ein vorzügliches Beispiel der Neorenaissance (hielt). Das Detail der Weserrenaissance wird meisterhaft beherrscht und nachgebildet.“(72) Die Camouflage wirkt im Prinzip bis heute.
Der langjährige Bielefelder Ratsherr Hartmut Meichsner, der – selbst kein Freimaurer! – seit fast 15 Jahren auf den Spuren der Freimaurer im Rathaus der Stadt recherchiert, hat 2012 durch den Schweizer Bauforscher Heinz Pantli die offizielle Bestätigung erhalten, dass dies eine „Fehleinschätzung“ und ein „völliger Irrtum (sei). Die mehr als eintausend Symbole, Allegorien und Bildprogramme sind außer- wie innerhalb der Gebäude aufeinander abgestimmt und eng miteinander verzahnt. Sie sind eine Art Generalschlüssel zum Verständnis der freimaurerischen Baukunst“(73), die am Bielefelder Rathaus Anwendung gefunden hat, weil die seinerzeit in Magistrat und Stadtverwaltung Beteiligten ganz offensichtlich Freimaurer gewesen sind oder deren Gedanken nahestanden. Dazu heißt es in der Westfälischen Zeitung vom 8. Oktober 1904: „Die Herstellung der kunstvollen Modelle zu der ornamentalen und figürlichen Durchbildung der Steinmetzarbeiten lag in den Händen der Bildhauer Seifert und Greiner, während die Ausführung in Stein dem Bildhauer Kupp oblag, der auch die von K. Gundelach, Hannover, und H. Dammann, Charlottenburg, modellierten Standbilder einer Spinnerin und eines Schmiedes in Stein übertrug.“(74) Bildhauer und Steinmetz Seifert,(75) maßgebliches Mitglied der Bielefelder Loge Armin zur deutschen Treue und später der Herforder Loge Rote Erde, hat in besonderer Weise das gedankliche Erbe des Kronprinzen Friedrich Wilhelm ins Bild gesetzt:
Friedrich Wilhelm, bereits 1853 von seinem Vater in die Freimaurerei eingeführt und in die Große Landesloge aufgenommen, war zugleich Ehrenmitglied der beiden anderen preußischen Großlogen. 1860 hatte er das Amt des Ordensgroßmeisters der Großen Landesloge übernommen und 1861 wurde er Protektor der Altpreußischen Großlogen sowie Vorsitzender des Großmeistervereins. In diesen Funktionen bemühte er sich insbesondere um die Einheit der deutschen Freimaurerei auf humanitärer Basis. Er konnte jedoch die überwiegend konservativen Mitglieder der Großen Landesloge von seinen Reformbestrebungen nicht überzeugen. Nach massiven Auseinandersetzungen trat der Kronprinz als Ordensmeister zurück, blieb aber stellvertretender Protektor der altpreußischen Großlogen. „Sein Interesse an der Freimaurerei, als deren Grundpfeiler er mit allem Nachdruck Gewissensfreiheit und Duldung, Fortschritt, nicht Stillstand, bezeichnete, blieb aber ungeschwächt“(76) und führte nach seinem Tod im Bielefelder Rathaus und Stadttheater zu einer einmaligen Einheit der Logensymbolik, die, wenn man in der Lage und bereit ist, sie zu entziffern, zunehmend fasziniert.
Das wird bereits direkt hinter dem Haupteingang im Rathausvorraum mit der Funktion eines Windfangs besonders deutlich: Die Widerlager des Deckengewölbes in den Raumecken sind als Kapitelle gestaltet, in denen sich vier Skulpturen befinden, die einen Steinmetz, einen Zimmermann, einen Maurer und einen Schlosser darstellen – und damit Handwerker der mittelalterlichen Dombauhütte, in deren Tradition sich die Freimaurerei versteht. Die Handwerkerskulpturen machen – den Wichteln oder Heinzelmännchen gleich, die eigentlich im Verborgenen arbeiten, – das Wirken der Freimaurer am Rathaus ebenso offensichtlich wie öffentlich. Zugleich veranschaulichen sich hier die Hierarchiestrukturen der Logenmitglieder auf dem Weg zu Erkenntnis und Erleuchtung.
Das gelingt jedoch nur denjenigen, die sich auf die komplexe Bildsprache und die oftmals vielfach chiffrierten Zeichen einlassen und bereit sind, sie zu entschlüsseln. Im Rathausvorraum funktioniert das beispielsweise, indem man, in der Rathaustür stehend und ins Rathausinnere blickend, die in den vier Eckennischen befindlichen Handwerkerfiguren gedanklich jeweils um 45 Grad im Uhrzeigersinn ‚versetzt‘ und mit einem Mal die gesamte Lehre der Freimaurerei dargestellt sieht, die sich großlogenübergreifend in drei Grade („blaue Johannisfreimaurerei“) gliedert: Die drei Grade der blauen Freimaurerei heißen Lehrling, Geselle und Meister, die am „Bau des Tempels der Humanität“ arbeiten, auf die weitere (rote) Hochgrade mit höheren Erkenntnis- oder Vervollkommnungsstufen folgen.
Der rechts neben dem Haupteingang in südwestliche Richtung hockende Lehrling, mit Hammer und Meißel fleißig an sich selbst arbeitend („vom rauen zum behauenen Stein“) und den Rathausbesucherinnen und -besuchern den Rücken zukehrend, blickt nach der 45 Grad-Drehung ‚durch‘ den Haupteingang in Richtung Westen: Er demonstriert der Bielefelder Bevölkerung (der Alt- und Neustadt) die Tatkraft seines Werks.
Links neben dem Haupteingang – Richtung Nordwesten, nach der Achteldrehung Richtung Norden ausgerichtet, – kauert, ausgestattet mit Säge, Breitbeil und Holzzwinge, ein Handwerker, der in den mittelterlichen Bauhütten traditionell für die Herstellung der Lehrgerüste für Fenster-, Türen- und Gewölbebögen zuständig war. Er ist im eigentlichen Sinne kein Freimaurer, aber doch einer der mittelalterlichen Bauhandwerker, die nach unterschiedlichen Varianten der Hiramslegende(77) als die am Bau des salomonischen Tempels beteiligten phönizischen Handwerker sowie als die Quatuor Coronati gelten – die vier Märtyrer, die Schutzheiligen der Bauhandwerker.
Richtung Nordosten – links diagonal gegenüber vom Haupteingang – erkennt man eine Skulptur, der verschiedene Werkzeuge und weitere Attribute beigegeben sind. Nach der 45 Grad-Drehung ist sie in Richtung Osten orientiert – und damit der aufgehenden Sonne, dem Licht entgegen – und erweist sich, versehen mit Hammer, einem baustellentypischen Doppel-T-Träger, auf dem er hockt und der zugleich als (doppeltes) T-förmiges Zeichen „Tau“ ein überaus bedeutendes freimaurerisches Symbol ist,(78) einem Handbrett mit einem zusammengefalteten „Lehrteppich“ auf der rechten Schulter, der für die Lehrinhalte der Freimaurerei steht, und dem ‚Bauplan (für alles)‘, den er an der rechten Seite in einem Rohr trägt, als der Steinmetzmeister – der freimaurerische Meister vom Stuhl. Als weiteres spitzfindiges Detail ist schließlich das Tau, das dem Meister vom Stuhl um die Hüfte gelegt ist, mit Handbrett und „Lehrteppich“ verbunden, um den „Weg der Erkenntnis“ und den Transport von Inhalten zu veranschaulichen.
Im Südosten, nach der 45 Grad-Drehung also im Süden und in Richtung des größten Sonnenlichts, kniet, auf der rechten Schulter einen Mauerbogen und in der rechten Hand eine Kelle haltend, der Geselle mit Freimaurerschurz. Die Mauer ist das Symbol der Großen National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln und die Kelle das der Großen Landesloge von Deutschland – am Bielefelder Rathaus ein mehr als eindeutiges Zeichen des toleranten und einvernehmlichen Miteinanders, wie es nicht deutlicher dargestellt werden kann.
Am Rathaus der Stadt Bielefeld wurden damit ganz im Sinne des Kronprinzen Elemente eines gemeinsamen Lehrgebäudes der Großen Landesloge von Deutschland und der Großen National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ angebracht, die auf diese Weise eine Chronik der Baukunst einer sich öffnenden christlichen Freimaurerei unter Einbeziehung der Bielefelder Juden gegen den Widerstand der Großlogen sowie „ein geheimnisvolles Rätsel mit Zeichen und Symbolen für ein friedvolles Leben und tolerantes Miteinander in Bielefeld“ darstellen, das in dieser Form – in der Geschichte der Freimaurerei, in der christlichen Geschichte wie in der Kunst- und Kulturgeschichte – in Deutschland einzigartig ist.
Bereits an den äußeren Ornamenten sind am Rathaus Zeichen der Freimaurer zu erkennen, etwa an der geflügelten Stifterfigur in der Ädikula („Tempelchen“) zwischen Jachin und Boas, den beiden Säulen am Tor des Eingangs zum Tempel in Jerusalem (bedeutende Freimaurersymbole!), die den Bielefelder sinnbildlich eine vollständige Kopie des Rathausbaus überreicht. Aus dieser geht hervor, dass das Rathaus eine Stiftung Gottes darstellt und dem irdischen Schutz der Johannisloge sowie der Großen National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln anvertraut ist.
Nahezu gleichzeitig mit dem nunmehr neuen Rathaus der Stadt Bielefeld wurde das mit dem Rathaus durch eine Brücke verbundene Stadttheater gebaut, dessen Stilistik zwar etwas vereinfacht, aber dennoch ‚großer Historismus‘ mit vielen freimaurerischen Zeichen und Symbolen ist.(79) Bereits vor dem 27. März 1901 hatte sich ein Preisgericht des Theaterbauwettbewerbs für den Entwurf des Berliner Architekten Bernhard Sehring entschieden.(80) „Alle drei Vorentwürfe bestätigen die enge Koordination von Rathaus- und Theaterbau unter der Leitung von Ernst Ritscher. Es ist davon auszugehen, dass Bernhard Sehring nur in Abstimmung mit Ernst Ritscher planen konnte, bzw. letzterer die Entwürfe von Bernhard Sehring ab Januar in die Vorentwürfe einbezog.“(81)
Im Unterschied zum Rathaus, das als Träger der Freimaurersymbolik romanische, gotische, renaissancezeitliche und frühbarocke Stilelemente aufweist, wurde das ordensburgähnliche Bühnengebäude des Stadttheaters im Stil der Neogotik, der terrassenartige Mitteltrakt im Stil der späten Neorenaissance und der schlossartige Eingangstrakt im Stil des Neobarock in Verbindungen mit frühen Formen des Jugendstils errichtet,(82) sodass Rathaus und Theater somit sämtliche Architekturstile vom Mittelalter bis in die Bauzeit der Gebäude zu Beginn des 20. Jahrhunderts vereinen: freimaurerische Kunst- und Stilgeschichte.
Darüber hinaus steht das „Bühnenhaus im Stil einer mittelalterlichen orientalischen Burganlage mit doppelter Umwallung und fünf Türmen“ in der Tradition der „freimaurerischen Hochgradsysteme des 18. Jahrhunderts“ – den spirituellen Ritterorden, die „ihre Wurzeln im Orden der Tempelherren sahen, der am 13. Oktober 1307 zerschlagen wurde. Das Bühnenhaus wäre demnach als Abbild einer Ordensburg im Heiligen Land zu verstehen, und die Bautengruppe von Rathaus und Stadttheater als Fortentwicklung einer Burganlage zum Schlossbau.“(83)
Das Stadttheater wurde am 3. April 1904 mit der Jubelouvertüre von Carl Maria von Weber eröffnet, danach wurde Friedrich Schillers Drama Jungfrau von Orleans aufgeführt,(84) in dem es um den „Auftrag des Geistes“ der Johanna, um Schönheit, schwarze Magie, persönliche Entwicklung und um daraus resultierende Reinheit bis zur Erleuchtung und Vernunft sowie um Rückbezüge auf sämtliche historische Ereignisse und Tendenzen geht; im Blick auf die beiden neuen Bielefelder Bauten eine durchaus treffende Wahl.
„Die Lage des Theaters direkt neben dem Rathaus, die Loge auf der linken Seite, die den damaligen Ratsherren vorbehalten war, das davor liegende so genannte Ratsherrenzimmer und die Brücke, die vom Rathaus zum Theater führt, zeigen, wie stark das Stadttheater sinnbildlich mit der städtischen Politik verbunden war.“(85)
Seit Ende der nationalsozialistischen Diktatur 1945, deren Ideologie auch der Freimaurerei nachhaltig Schaden zugefügt hat, scheint das noch bis heute nicht mehr in allen Fällen so zu sein, wie der ‚denkmalpflegerische‘ Umgang mit den außergewöhnlichen Gebäuden zeigt. Die ursprüngliche Ausstattung des Theaterinnenraums wurde immer wieder verändert, bei den Rathaussanierungen wurden feine Details an Ornamenten und Symbolen ‚wegrestauriert‘. Dazu zählen unter anderem die nicht mehr vorhandenen Skulpturen der Spinnerin und des Schmiedes auf der Balkonbalustrade über dem Haupteingang oder der kleinen Replik des Herrmanndenkmals auf der Spitze des Rathausgiebels, das entfernte Maßwerk im östlichen Erdgeschossrundfenster oder die Veränderung der Farbkonzepte wie etwa beim ursprünglich blauen Deckenanstrich im ‚Himmelsgewölbe‘ in der obersten Rathausetage. Der Einbau ‚moderner‘ Lampen im Erdgeschoss ist schließlich aktueller Höhepunkt geistesgeschichtlicher Ignoranz, denn im Bielefelder Rathaus soll im Sinne der Freimaurerei der Suchende aus dem Dunklen des Erdgeschosses zum Licht in die Obergeschosse und damit zur Erkenntnis und Erleuchtung geführt werden.(86)
Coda
Knapp zehn Jahre nach der Einweihung des Bielefelder Rathausneubaus begann der Erste Weltkrieg, der zugleich das Ende von ‚Preußens Gloria‘ einläutete: Nach einer langen Phase wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Wandels endete am 11. November 1918 nicht nur ein ebenso technisierter wie unmenschlicher Krieg, sondern auch politisch eine Ära. „Mit dem Ersten Weltkrieg ging eine Epoche zu Ende, die in der Erinnerung der überlebenden Zeitgenossen überwiegend positive Züge trug. Für das Bürgertum war es nur schwer zu begreifen, daß die Ursachen für Deutschlands Niederlage und für die revolutionären Ereignisse vom November 1918 schon im Überschwang und in der Maßlosigkeit der ausgehenden Kaiserzeit angelegt waren. (…) Ein Vorgang gewann symbolische Bedeutung für Glanz und Ende der vergangenen Epoche. Im August 1921 wurde das (erst 1907 errichtete und nunmehr baufällige) Kaiserdenkmal vor dem Rathaus abgetragen.“(87)An Beispielen der Historismusarchitektur in Bielefeld kann gezeigt werden, dass die wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Entwicklungsschübe seit dem Beginn der Industrialisierung und besonders seit den 1870er Jahren in der industriellen, privaten und städtischen Umfeldgestaltung ihre formale Überhöhung erfuhren. Das gesellschaftlich aufstrebende Industriebürgertum versuchte, das Bewusstsein einer eigenen Klasse zu entwickeln und dokumentierte dies durch historisierende bauliche Eleganz. Fabrik- und Wohnareale mit ihren Fassaden, Ausschmückungen und passende Denkmäler machten deutlich, wozu sich der Besitzer zugehörig fühlte und die Zeitgenossen verstanden diese äußeren Zeichen. Die Ursachen für das zunehmende unternehmerische Repräsentationsbedürfnis lagen in den sozialökonomischen Strömungen dieser Zeit: Die relativ schnelle technische Entwicklung vollzog sich in Deutschland in einem ständisch-feudalistischen Obrigkeitsstaat. Bei den Trägern der Industriellen Revolution, die sich zunächst mit allen Mitteln von der obrigkeitstreuen Gesellschaft distanziert hatten, ist bis ins frühe 20. Jahrhundert eine zunehmende „Feudalisierung“ erkennbar: Die restaurative Staatspolitik ergriff soziale Maßnahmen zur Bindung der arbeitenden Bevölkerung an den Staat, das Großbürgertum übernahm die Formen der Feudalarchitektur: Soziale Kontrolle durch monumentales Bauen, Pathos und imperiale Gebärden.
All‘ das endete im November 1918 durch einen historischen Umsturz und führte zur Entstehung eines „neuen Europas“, während ein abgedankter ehemaliger deutscher Kaiser Wilhelm II. in seinem niederländischen Exil Huis Doorn bei Utrecht noch 21 Jahre bis zu seinem Tod Holz hackte.(88) Bauten des Historismus sind in Bielefeld nicht mehr errichtet worden.(89)
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Anmerkungen:
1) Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden, Drittes Buch, 13. Kapitel, zitiert nach S. (Simon) M. (Marian) Prem: Goethes Werke. Auswahl in sechzehn Bänden, 13. Band, Leipzig ohne Jahr (um 1900), S. 94.Die Kapitelüberschriften folgen den Sätzen der Sonate in d, op. 65, 6, des romantischen Komponisten und brillanten Organisten Jakob Ludwig Felix Mendelsohn-Bartholdy (1809–1847) aus dem Jahr 1845.
2) Vgl. dazu Andreas Beaugrand: Die Bahn in Bielefeld. Startpunkt der industriellen Entwicklung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, in: Florian Böllhoff, Jörg Boström, Bernd Hey (Hg.): Industriearchitektur in Bielefeld, Geschichte und Fotografie, Bielefeld 1986, S. 98–107.
3) Wilhelm Fricke: Geschichte der Stadt Bielefeld und der Grafschaft Ravensberg, Osnabrück 1975 (Nachdruck der Ausgabe Bielefeld 1887), S. 336.
4) Reinhard Vogelsang: Geschichte der Stadt Bielefeld, Band I: Von den Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Bielefeld 1989 (2. Auflage); Ders.: Geschichte der Stadt Bielefeld, Band II: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Bielefeld 1988, und Ders.: Bielefelds Weg ins Industriezeitalter. Bilder einer Epoche, Bielefeld 1986, sowie Andreas Beaugrand: Gebaute Repräsentation im 19., 20. und frühen 21. Jahrhundert. Von der Industrie- zur Mobilitäts- und Industriearchitektur, in: Jürgen Büschenfeld, Bärbel Sunderbrink (Hg.): Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse, Bielefeld 2014, S. 417–441.
5) Vgl. dazu im Allgemeinen zunächst den „Klassiker“ Ludwig Grote (Hg.): Stadtplanung und Baugestaltung im industriellen Zeitalter, München 1974; Jürgen Reulecke (Hg.): Die deutsche Stadt im Industriezeitalter. Beiträge zur modernen Stadtgeschichte, Wuppertal 19802; Lutz Niethammer: Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979.
6) Da auch in Frankreich während der Herrschaft des Bürgerkönigs Louis-Philippe (1830–1848) eine mit dem Historismus in Deutschland vergleichbare Stilepoche entstand, wird sie in Frankreich auch als Louis-Philippe-Stil bezeichnet. Wegen der seit 1837 für 63 (!) Jahre in Großbritannien regierenden Queen Victoria wird der Historismus hier Viktorianischer Stil (1837–1901) genannt.
7) Werner Durth, Paul Sigel: Baukultur. Spiegel gesellschaftlichen Wandels (Studienausgabe, Band 1), Berlin 20163, S. 19.
8) Zum Historismusbegriff vgl. allgemein auch Wolfgang Hardtwig: Traditionsbruch und Erinnerung. Zur Entstehung des Historismusbegriffs, in: Michael Brix, Monika Steinhauser (Hg.): „Geschichte allein ist zeitgemäß“. Historismus in Deutschland, Lahn-Gießen 1978, und die Einführung in: Barbara Mundt: Historismus. Kunstgewerbe zwischen Biedermeier und Jugendstil, München 1981, S. 8–36.
9) Vgl. dazu Jeannine Fiedler, Peter Feierabend (Hg.): Bauhaus, Rheinbreitbach 2016. Zum 100. Geburtstag des Bauhauses im Jahr 2019 sind zahlreiche Publikationen, Veranstaltungen, Reisen u.a.m. vorgesehen. Vgl. dazu https://www.bauhaus100.de (1.12.2018).
10) Renate Wagner-Rieger: Wiens Architektur im 19. Jahrhundert, Wien 1970.
11) Zur Entwicklung des Historismusbegriffs vgl. insbesondere Friedrich Meinecke Werke, herausgegeben im Auftrage des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität Berlin von Hans Herzfeld, Carl Hinrichs, Walter Hofer: Friedrich Meinecke: Die Entstehung des Historismus (herausgegeben und eingeleitet von Carl Hinrichs), München 1965; Barbara Mundt: Historismus. Kunstgewerbe zwischen Biedermeier und Jugendstil, München 1981; Jörn Rüsen: Konfigurationen des Historismus. Studien zur deutschen Wissenschaftskultur, Frankfurt 1993, und Dieter Dolgner: Historismus. Deutsche Baukunst 1815–1900, Leipzig 1993, sowie Friedrich Jaeger, Jörn Rüsen: Geschichte des Historismus. Eine Einführung, München 1992, besonders S. 4 ff.
12) Friedrich Meinecke: Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates, München, Berlin 1911 (2. Auflage), S. 15 ff., zitiert nach https://archive.org/details/weltbrgertumun00meinuoft/page/14 ff. (30.9.2018).
13) Das stilistische Phänomen der Neogotik wurde insbesondere von Megan Aldrich, Academic Director beim Sotheby's Institute of Art, London, eindrucksvoll beschrieben: Megan Aldrich: Gothic Revival, London 1997 (2. Auflage).
14) Anna Zika: Geist und Gefühl. Ein literarischer Begleiter durch den Wörlitzer Park, Weimar 2011.
15) Siehe dazu ausführlich Fabian Hegholz: Die Wohnung Friedrich Wilhelms IV. im Berliner Schloss, Berlin 2017.
16) Vgl. Michael Nungesser: Das Denkmal auf dem Kreuzberg von Karl Friedrich Schinkel, Berlin 1987.
17) Vgl. dazu Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt 1999.
18) Vgl. zur Wirkung der Weltausstellungen auch Durth, Sigel: Baukultur, S. 33–44.
19) Es ist interessant zu sehen, dass in der Nachfolge der historistischen Verwendung noch heute Neorokoko oder neoklassizistische Möbel den Reichen und Mächtigen der ganzen Welt als Symbol für Reichtum und Prunk dienen und in dieser Bedeutung als Staffage vieler Staatsempfänge erscheinen.
20) Vgl. dazu beispielsweise Eva-Maria Landwehr: Kunst des Historismus, Köln, Weimar, Wien 2012.
21) R. (Rudolf) Wiegmann: Der Ritter Leo von Klenze und unsere Kunst, Düsseldorf 1839, S. 8, zitiert nach https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10258913_00010.html (2.11.2018).
22) Siehe etwa dazu die Seminarangebote und Literaturlisten des bekannten Sozialhistorikers Prof. Dr. Jürgen Kocka an der Fakultät für Geschichtswissenschaften und Philosophie, Abteilung Geschichtswissenschaft, der Universität Bielefeld im Sommersemester 1985. Der einzige Kunsthistoriker der Universität, Dr. Walter Kambartel, wurde seinerzeit mehr toleriert (oder ignoriert) als akzeptiert. Erst seit Mitte 2012 gab es bis 2018 mit Prof. Dr. Johannes Grave (sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) einen Professor für Historische Bildwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Bielefeld. Zum Kontext der Sozialgeschichtsforschung vgl. Gerhard A. Ritter, Jürgen Kocka (Hg.): Deutsche Sozialgeschichte. Dokumente und Skizzen, Band 2: 1870–1914, München 1977.
23) Ein Pionier auf dem Gebiet der Ehrenrettung des stilistischen Historismus war – lange Zeit ungehört! – der Darmstädter Kunsthistoriker Hans Gerhard Evers: Versuch einer Ehrenrettung des Historismus, in: Das Kunstwerk, 16, 1963, S. 2–4.
24) Vgl. dazu ausführlich Andreas Beaugrand: Bürgerliche Repräsentation um 1900. Historismus in Bielefeld, in: Joachim Meynert, Josef Mooser, Volker Rodekamp (Hg.): Unter Pickelhaube und Zylinder. Das östliche Westfalen im Zeitalter des Wilhelminismus 1888 bis 1914, Bielefeld 1991, S. 211–231, sowie Claus Pese: Beletagen, in: Hermann Glaser, Wolfgang Ruppert, Norbert Neudecker (Hg.): Industriekultur in Nürnberg. Eine deutsche Stadt im Maschinenzeitalter, München 1980, S. 40 f.
25) Die Kulturzeitschriften des 19. Jahrhunderts wie die Blätter für literarische Unterhaltung (1826 ff.), die Deutsche Monatsschrift für Litteratur und öffentliches Leben (1842 ff.) oder das Weimarische Jahrbuch für deutsche Sprache, Litteratur und Kunst (1854 ff.) u.a.m. veröffentlichten Anregungen, wie man sich beispielsweise im „persischen“, „tahitianischen“ oder „maurischen Styl“ oder „Geschmack“ einrichten könne, und erteilten Belehrungen, wie ägyptische Tempel oder Pyramiden wirkungsvoll und dem Vorbild am besten entsprechend im heimischen Garten aufzustellen seien. Vgl. dazu auch die Website Literaturzeitschriften, Feuilletons und andere Rezensionsorgane unter http://www.mellmann.org/zeitschriften.htm (1.11.2018), sowie Beaugrand: Gebaute Repräsentation, S. 227 f., und Martina Forkel: Wohnen im „Stil“ des Historismus, herausgegeben im Auftrag der Stiftung Museumsdorf Cloppenburg – Niedersächsisches Freilichtmuseum von Helmut Ottenjann, Oldenburg 1996.
26) Neorenaissance bedeutet tatsächlich ‚Neo-Re-Naissance‘ und steht für eine ‚zweifache Wiedergeburt‘: Schon vor der Renaissance, die sich im 15. Jahrhundert in Italien entwickelte, gab es lange zuvor u.a. auch eine karolingische, ottonische und byzantinisch-makedonische Renaissance als Bruch mit der antiken Vergangenheit.
27) Die heute verwendeten Charakterisierungsbegriffe mit den ihnen zugeordneten künstlerischen und kulturellen Werten sind das Ergebnis allgemeiner Vereinbarungen, die erst mit dem wachsenden historischen Interesse seit der Mitte des 18. Jahrhunderts formuliert worden sind.
28) Im November 2018 hat Ernst August von Hannover jr. – dessen Vater, Ernst August Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, der als letzter Urenkel Kaiser Wilhelms II. und bekannter ‚Pinkelprinz‘ noch 100 Jahre später höchstpersönlich den „Untergang einer Epoche“ personifiziert, – das marode Schloss für einen symbolischen Euro an das Land Niedersachsen und die Klosterkammer Hannover verkauft. Die Renovierungskosten liegen bei etwa 27 Millionen Euro. Vgl. auch Neue Westfälische vom 30.11.2018. Jedoch hat der ‚epochale‘ Vater Ernst August sen. Ende Dezember 2018 gegen den Verkauf „wegen Undankbarkeit“ interveniert (‚Preußens Gloria‘ reloaded).
29) Gedon hatte bereits 1872 im Stil der Neorenaissance das Münchner Palais Schack errichtet und erhielt 1882 den Auftrag, den ‚Ahnensaal‘ für das Schloss in Detmold auszustatten.
30) Die eingerichtete Sonderschau Unserer Väter Werke sollte hierbei verdeutlichen, welche Kunst dem ‚deutschen Wesen‘ am angemessensten schien. Vgl. dazu Eva-Maria Lösel: „Unserer Väter Werke“. Zu Kopie und Nachahmung im Kunstgewerbe des Historismus, in: Unsere Kunstdenkmäler. Mitteilungsblatt für die Mitglieder der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Band 37, Bern 1986, S. 19–28.
31) Das ist durchaus vergleichbar mit dem pluralistischen ‚Anything Goes‘ unserer Gegenwart.
32) Beispielsweise Zinkguss, Steingut, Gips, Tombak, Aluminium, Ebonit, Zelluloid u.a.m.
33) Zum Thema Überwindungen des Historismus Jaeger, Rüsen: Historismus, S. 161 ff.
34) Vgl. hierzu Vogelsang: Bielefelds Weg ins Industriezeitalter, S. 87 f., und Ders.: Geschichte der Stadt Bielefeld, Band II, S. 224 ff., sowie Joachim Wibbing: Ein neuer Turm für die Sparrenburg, in: Neue Westfälische vom 31.10.2018.
35) Andreas Beaugrand: Gebaute Repräsentation, S. 424 f.
36) Über die Schließung der Spinnerei im Jahre 2009 siehe https://industrie-kultur.de/ik/?s=Spinnerei+Myslakowice (5.11.2018).
37) Vgl. Barbara Gerstein: Kaselowsky, Ferdinand, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 11, Berlin 1977, S. 315. Kaselowsky war – modern gesprochen – weitläufig vernetzt, ging auch in preußischen Behörden, wo um 1850 auch die Pläne der Erdmannsdorfer und Bielefelder Spinnereien einsehbar waren, ein und aus und war unter anderem Präsident des Deutschen und Österreichischen Leinen-Industrie-Verbandes. Noch 1877, im Jahr seines Todes, wurde er ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt.
38) Zur Ravensberger Spinnerei und ihrer Geschichte vgl. Vogelsang: Bielefelds Weg ins Industriezeitalter, S. 16 ff., und Andreas Beaugrand: Die Ravensberger Spinnerei, in: Böllhoff u.a. (Hg.): Industriearchitektur in Bielefeld, S. 196; Ders.: Arbeiterzwingburg, Fabrikschloss, Kulturfabrik. Die Ravensberger Spinnerei und ihre Umnutzung, in: Ders. (Hg.): Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2013, S. 448–457.
39) Zur Geschichte des Bielefelder Krankenhauswesens vgl. besonders die Schriften von Bernd J. Wagner, der sich seit seiner Magisterarbeit an der Universität Bielefeld 1988 intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat: Bernd J. Wagner: Armut, Krankheit und Gesundheitswesen im vorindustriellen Bielefeld, in: JBHVR 77 (1988/1989), Bielefeld 1989, S. 71–103; Ders.: Ein Haus für arme Kranke? Zur Herausbildung des modernen Krankenhauswesens im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: JBHVR 81 (1994), Bielefeld 1994, S. 41–50, und Ders. (Hg.): 100 Jahre Verantwortung für das Leben. Städtische Kliniken Bielefeld Mitte 1899–1999, Bielefeld 1999, sowie u.a. die Website https://www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar/01122015.html (5.11.2018).
40) Vgl. den Lageplan der Krankenanstalt, in: Wagner: 100 Jahre, S. 65.
41) Vgl. die Websites https://www.klinikumbielefeld.de/capella-hospitalis.html und http://www.capella-hospitalis.de/capelle.html (2.11.2018).
42) Vgl. dazu ausführlich Jürgen Wolff: Justitia. Gerichtswesen in Bielefeld, in: Andreas Beaugrand (Hg.): Stadtbuch Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1998, S. 174–177, hier S. hier S. 176, und Hans Bubenzer: Einblicke in 800 Jahre Justizgeschichte, in: Beaugrand: Stadtbuch (2013), S. 548–553.
43) Vgl. hierzu und für das Folgende Ulrich Althöfer: Architektur und Kunst in Zeiten großer Zahlen. Kirchenbau und Ausstattung im Kirchenkreis Bielefeld, in: Matthias Benad, Hans-Walter Schmuhl (Hg.): Aufbruch in die Moderne. Der evangelische Kirchenkreis Bielefeld von 1817 bis 2006, Bielefeld 2006, S. 163 ff., und Harald Propach: Bielefeld und seine Kirchen. Einblicke und Rückblicke, in: Beaugrand: Stadtbuch (2013), S. 490–499.
44) Vogelsang: Geschichte, Band II, S. 71 ff.
45) S. Anm. 51.
46) Vgl. dazu ausführlich Hans-Walter Schmuhl: Friedrich von Bodelschwingh, Reinbek bei Hamburg 2005; Kerstin Stockhecke, Bärbel Thau: Wohlfahrtsarbeit und Dienst am Menschen. Bielefeld als ‚Hauptstadt der Diakonie‘, in: Beaugrand: Stadtbuch (2013), S. 514 ff.; v.Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel (Hg.): Bethel Wissen. Fachthemenreihe der Stiftungen Sarepta|Nazareth, Ausgabe 4: Thema Wissen verändert. 150 Jahre Bethel, Bielefeld 2017, sowie die Websites www.bethel.de/ueber-uns/geschichte-bethels.html und www.bethel-historisch.de/index.php?article_id=44 (28.10.2018).
47) Friedrich von Bodelschwingh war seit 1882 Ehrenritter des Johanniterordens. In dieser Funktion pflegte er auch Kontakte zur Freimaurerei, wie seine engen Kontakte zu Kronprinz Friedrich von Preußen und zum Haus Hohenzollern bestätigen. Der „Dichter und Kaufmann, Bürger und Künstler, Schwärmer und Idealist, Freimaurer und Christ“ Emil Ritterhaus (1834–1897), Bruder der Schwelmer Johannisloge Zum Westfälischen Löwen und später Meister vom Stuhl der Barmer Loge Lessing, war ein Freund von Bodelschwinghs, der das Problem der heimatlosen Wanderarbeiter in die Großloge eingebracht hatte. Vgl. dazu auch https://www.denkmal-wuppertal.de/2011/09/emil-rittershaus-denkmal.html (27.11.2018) sowie den Artikel Rittershaus: von Emil von Ludwig Julius Fränkel, in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 673–679, Digitale Volltextausgabe in: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rittershaus (27.11.2018).
48) Vgl. hierzu und für das Folgende Ulrich Althöfer: Der Architekt Karl Siebold (1854–1937). Zur Geschichte des evangelischen Kirchenbaus in Westfalen, Bielefeld 1998, und von Karl Siebold: Viventi satis (Genug zum Leben). Arbeiterheim, Bethel bei Bielefeld; Teil 2: Alte Bauweisen in neuzeitlicher Form. Ein Beitrag zur Umschulung unserer Bauweise, Bethel 1918 (Stadtarchiv Bielefeld, K 110 8), und Teil 3: Die Abschaffung der Baupolizei. Ein Beitrag zur Umschulung der Baupolizei, Bethel 1919 (Hauptarchiv Bethel).
49) Benannt wurde das Gebäude nach dem Musikmeister des Königs David, dem Psalmensänger Asaph.
50) Wie alle Häuser Bethels hat Friedrich von Bodelschwingh d. Ä. auch das Diakonissenmutterhaus Sarepta nach Bibelversen benannt: 1. Könige 17, 19; Maleachi 3,3: „Er wird sitzen und Silber reinigen. Auch hier sollen Menschen im Schmelztiegel der göttlichen Arbeit geläutert werden, um einen reichen Vorrat an heiliger Liebe zu haben.“
51) Bei Bodelschwinghs Amtsantritt waren lediglich 26 Diakonissen in Bethel tätig, bei seinem Tod im Jahre 1910 waren es bereits mehr als 1.200.
52) Die Zionskirche, benannt nach dem Jerusalemer Tempelberg und dem hebräischen Namen für die Heilige Stadt, ist die Kirche für die Kranken Bethels: Sacharja 9,9; Psalm 126: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden sie sein wie die Träumenden.“
53) Hermann Nottebrock: Chronik von Gadderbaum, o.O. (Gadderbaum) 1948. Siehe darüber hinaus sowie über die Bedeutung des Kronprinzen für Bielefeld das Folgende über das Bielefelder Rathaus.
54) Vgl. die Website https://www.bielefeld.de/de/rv/ds_stadtverwaltung/isb/hib/ars/ (28.12.2018) und zur Bedeutung der Freimaurerei im Allgemeinen und der Bedeutung des Kronprinzen die Website https://freimaurer-wiki.de/index.php/Preu%C3%9Fen#Kronprinz_Friedrich_Wilhelm (18.12.2018). Verwunderlich ist, dass Reinhard Vogelsang in seiner vortrefflich recherchierten dreibändigen Geschichte der Stadt Bielefeld die ganz offensichtliche Freimaurerstilistik am Rathaus mit keinem Wort erwähnt.
55) Im ‚Dreikaiserjahr‘ 1888 starb am 9. März der ‚Heldenkaiser‘ Wilhelm I. (geb. 1797, Kaiser von 1871 bis 1888), dem sein an Kehlkopfkrebs erkrankter Sohn Friedrich Wilhelm (geb. 1831) als Friedrich III. folgte, der am 15. Juni starb. Nachfolger wurde am selben Tag sein ältester Sohn Friedrich Wilhelm (geb. 1859), der als Kaiser Wilhelm II. bis 1918 regierte.
56) Siehe dazu auch die Ausführungen zur Zionskirche oben.
Es ist wahrscheinlich, dass auch die Standorte der Zionskirche (1883), der Neuen Synagoge in der Turnerstraße (1905), die Alte Kapelle auf dem Sennefriedhof (1913) und andere mehr nach freimaurerischen Gesichtspunkten ausgewählt worden sind. Nach GPS-Messungen und Berechnungen von Hartmut Meichsner aus dem Jahr 2012 liegen sie alle zwischen den Breitengraden 51°58‘ bzw. 52°1‘ und dem Längengrad 8°31‘.
Diese und viele weitere Hinweise verdanke ich Hartmut Meichsner während des Gesprächs am 18. November 2018 im Rathaus der Stadt Bielefeld.
57) Vgl. hierzu und für das Folgende Dietrich Hoffmann: Theaterarchitektur als Spiegel der Zeit, in: Bühnen der Stadt Bielefeld (Hg.): 75 Jahre Stadttheater Bielefeld 1904–1979, Bielefeld 1979, S. 98–110, hier S. 98 ff.
58) Ausführende waren „die Hochbauabteilung des Stadtbauamtes“ unter der Leitung des Stadtbaurats Ernst Ritscher. „Dem Stadtbaurate waren beigegeben für den künstlerischen Teil der Aufgabe bis zum Juli 1903 der Architekt (Max) Fritsche, für die genauere Grundrissbearbeitung, örtliche Bauleitung und Abrechnung der (…) Architekt Herzbruch. Weitere Hilfe (…) leisteten die Architekten Krege, Strangmann, Waldvogel, von Cardinal (…) und andere Kräfte des Stadtbauamtes.“ Vgl. Der Rathausneubau der Stadt Bielefeld, veröffentlicht zu dessen Einweihung am 12. Oktober 1904, Bielefeld, Leipzig 1904 (Reprint, Bielefeld 2004), S. X. Architekt Herzbruch war als städtischer Stadtbaumeister 1917 wesentlich an der Gründung des Bielefelder Bauernhausmuseums beteiligt!
59) Vgl. Günther Kokkelink, Monika Lemke-Kokkelink: Baukunst in Norddeutschland. Architektur und Kunsthandwerk der Hannoverschen Schule 1850–1900, Hannover 1998, sowie auch für das Folgende unter der Rubrik „Architekten und Künstler mit direktem Bezug zu Conrad Wilhelm Hase (1818–1902)“ aus Hannover die Website http://www.glass-portal.privat.t-online.de/hs/m-r/ritscher_ernst.htm (24.11.2018).
60) Zuletzt – von 1906 bis 1908 – auch als „Pfleger für Hauseinrichtungen und Kirchenaltertümer am Städtischen Museum“.
61) Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bauh%C3%BCtte_zum_Wei%C3%9Fen_Blatt (24.11.2018), zur Mindener Loge https://fzwp.org/ (25.12.2018), sowie C. Lenning: Allgemeines Handbuch der Freimaurerei, Band 1, Leipzig 19003, S. 426 ff. Ritscher selbst gehörte wahrscheinlich einer der hannoverischen Logen Friedrich zum Weißen Pferde, Zum schwarzen Bär oder Zur Ceder an.
Der bis heute nicht bereinigte Konflikt zwischen der englisch, französisch und schwedisch bzw. christlich oder humanitär ausgerichteten Lehrart innerhalb der klassischen Dreigradmaurerei kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Vgl. dazu u.a. Heinz Sichrovsky (Hg.): „Als ich König war und Maurer“. Freimaurerdichtung aus vier Jahrhunderten. Eine Anthologie mit 90 Porträts von Oskar Stocker (Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei, Band 19), Innsbruck/Wien/Bozen 2016, und Klaus-Jürgen Grün: Das verlorene Wort. Humanitäre Freimaurerei und die sanfte Revolte des autonomen Menschen, Leipzig 2014, sowie grundlegend: Gotthold Ephraim Lessing: Ernst und Falk. Gespräche für Freymäurer (Erstausgabe Göttingen 1778), Berlin 2016 (4. Auflage).
62) Vgl. Wilfried Koch: Baustilkunde. Das große Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, München 1994, S. 374 f. Für zahlreiche konstruktive Hinweise in diesem Kontext danke ich meinem Historikerkollegen Joachim Wibbing.
63) Vgl. hierzu und für das Folgende Heinz Pantli: Plausibilitäts-Gutachten. Einschätzung der bau- und kunsthistorischen Bedeutung des Alten Rathauses und des Stadttheaters in Bielefeld, Winterthur 2012 (bisher nur digital veröffentlichtes Manuskript: www.ibid.ch/fileadmin/user.../Plausibilitätsgutachten_RH_Bielefeld_191211.pdf, 30.11.2018), S. 9.
64) Der Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Prof. Dr. Georg Ernst Hinzpeter (1827–1907) war seit 1866 der Erzieher und Hauslehrer des späteren Kaisers Wilhelm II. Nach dem Regierungsantritt Wilhelms II. 1888 wurde Hinzpeter Berater des Kaisers und zum Geheimen Oberregierungsrat ernannt. Ab 1904 war er Mitglied im Preußischen Herrenhaus.
65) Vgl. hierzu und für das Folgende Stadtarchiv Bielefeld: Verwaltungsbericht 1902: Ehrenbezeugungen und öffentliche Feste, S. 137–139 und insbesondere S. 138 f. Es ist bemerkenswert, dass die gewöhnlich nur im gedeckten Tempel gesprochenen Logenworte in aller Öffentlichkeit – vor immerhin 400 geladenen Gästen, wie es im Verwaltungsbericht heißt, – ausgesprochen wurden.
66) Vgl. Stadtarchiv Bielefeld: Verwaltungsbericht 1904: Ehrenbezeugungen und öffentliche Feste, S. 159–162.
67) Vgl. dazu Ludwig Klarhorst: Die absolute Baukunst. Die Baugeschichte des Bielefelder Wohnhauses und die Abstraktion seiner Raum- und Körperform, Bielefeld 1919.
68) Das war Theodor Droop (1849–1906), Sekretär der Bielefelder Handelskammer, der 1890 zusammen mit Ernst Rein (1858–1954) die Droop & Rein Werkzeugmaschinenfabrik gegründet hatte.
69) Heinz Pantli: Plausibilitäts-Gutachten, S. 15.
70) Hartmut Meichsner: Das Bielefelder Rathaus von 1904. Schlüssel zum Verständnis der freimaurerischen Baukunst zur Zeit des Historismus, in: Beaugrand: Stadtbuch (2013), S. 458–463, hier S. 460.
71) Rosa Schumacher in G. Ulrich Grossmann: Renaissance entlang der Weser. Kunst und Kultur in Nordwestdeutschland zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg, Köln 1989, sowie Dies.: Neorenaissancearchitektur in Bielefeld, in: G. Ulrich Grossmann (Hg.): Renaissance der Renaissance, ein bürgerlicher Kunststil im 19. Jahrhundert, München 1992, S. 361.
72) Karl-Heinz Kruse: Architektur des 19. Jahrhunderts, in: Klaus Heise, Liselotte Heise u.a.: Stilversuchungen. Historismus im 19. Jahrhundert, Bielefeld 1991, S. 103. G. Ulrich Grossmann, seinerzeit Direktor des Weserrenaissance-Museums Schloss Brake, hatte bereits um 1990 bezweifelt, ob es überhaupt gerechtfertigt sei, von einem „Baustil der Weserrenaissance“ zu sprechen; vgl. Anm. 70.
73) Meichsner: Rathaus, S. 460.
74) Die Skulptur der Spinnerin ist verschollen, die des Schmiedes befindet sich im Hof der Firma Müller Umwelttechnik GmbH & Co. KG, Julius-Müller-Straße 3, 32816 Schieder-Schwalenberg.
75) Knapp zehn Jahre später hat Seifert – mit Ausnahme des großen Reliefs über dem Eingangsportal der Alten Kapelle auf dem Sennefriedhof, das von Hans Perathoner stammt – ebenfalls den figürlichen Schmuck im Sinne der Freimaurerei geschaffen.
76) Eintrag Friedrich III. in: Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder (Hg.): Internationales Freimaurer-Lexikon (Erstauflage 1932), München 2006 (6. überarbeitete und erweiterte Auflage).
77) Eintrag Hiram Abif, in: Lennhoff/Posner/Binder: Internationales Freimaurer-Lexikon.
78) Unter „Arbeit am rauen Stein“ verstehen Freimaurer, für die das „Tau“-Zeichen das Zeichen der Eingeweihten ist, dass der Mensch ständig an sich selbst arbeiten muss, um aus sich, dem „rauen Stein“, einen „vollkommenen Körper“ zu erschaffen. Die Rechenkunst, das rituelle „rechte“ (richtige) Winkelmaß – ein Hauptsymbol der Freimaurerei – und der Goldene Schnitt sind in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, mit deren Hilfe man auf dem „Weg des Osiris“ – die Masken von Isis und Osiris, Gottheiten aus der altägyptischen Mythologie, finden sich ebenfalls am und im Bielefelder Rathaus! –, den „richtigen Weg der Erkenntnis“ findet. Vgl. dazu ausführlich Axel Klitzke: Die ägyptischen Grundlagen der Freimaurerei, Kamsdorf 2008, S. 3 ff., abrufbar unter http://www.hores.org/artikel.html?file=tl_files/hores/PDF/Aegyptische_Grundlagen_der_Freimaurerei.pdf (30.12.2018).
79) Vgl. dazu detailliert Hartmut Meichsner: Baustil Rathaus, Rathausstraße, Neumarkt, Stadttheater, Bielefeld o.J. (unveröffentlichtes Manuskript, übergeben am 18.11.2018), S. 23 ff.
80) Der Berliner Architekt Bernhard Sehring (1855–1941) hatte ebenfalls 1895/1896 das Theater des Westens in Berlin und nach dem Bielefelder Bau 1908 das Stadttheater in Cottbus gebaut. Der allgemein als Tag der Grundsteinlegung genannte 3. April 1901 ist umstritten.
81) Heinz Pantli: Plausibilitäts-Gutachten, S. 8.
82) Ebd. und in einem Schreiben an den Verfasser vom 27.11.2018. Meichsner weist nach, dass der gemeinhin als Architekt des Bielefelder Stadttheaters genannte Bernhard Sehring (1855–1941) aus Berlin nicht oder allenfalls nur mittelbar an der Theaterplanung beteiligt gewesen ist: „Die Vorlagemappe 2 (2./3. Vorentwurf) zur Stadtverordnetenversammlung am 27. März 1901 enthält einen von Ritscher und Fritsche, jedoch nicht von Sehring abgezeichneten detaillierten fertigen Bauplan (einschl. Stuhlreihen) des Stadttheaters.“ Auch ein Wettbewerb, wie oftmals behauptet würde, sei nicht ausgeschrieben worden. Ebenso sei die oft genannte Grundsteinlegung am 3. April 1901 umstritten.
83) Heinz Pantli: Plausibilitäts-Gutachten, S. 11.
84) Es ist nicht eindeutig geklärt, ob Friedrich Schiller auch Freimaurer gewesen ist, jedoch sind freimaurerische Bezüge in seinen Werken nahezu aller Schaffensperioden vielfach zu finden. Um 1900 war man sich weitgehend sicher, dass Friedrich Schiller Freimaurer war, und benannte den zuvor Neumarkt genannten Rathausvorplatz geradezu zwangsläufig nach ihm.
85) Vgl. dazu auch Uwe Sommer-Sorgente: Das Theater Bielefeld. Seismograph einer Stadt, in: Beaugrand: [kursiv|Stadtbuch (2013), S. 698–703, Vogelsang: Geschichte, Band II, S. 219 ff., und die Website https://www.opern-freund.de/oper/stadttheater-bielefeld/theatergeschichte.html (5.11.2018).
86) Die „Gestaltung“ des Rathausumfeldes mit dem Schillerplatz am Niederwall ist ein weiteres Thema, das nicht erst seit Alexander Mitscherlichs Die Unwirtlichkeit unserer Städte, sondern aktuell auch von Christoph Mäckler, Inhaber des Lehrstuhls für Städtebau an der Technischen Universität Dortmund, immer wieder diskutiert und kritisiert wird: „Rigide Stadtplanung“ habe die meisten Schäden in Städten und öffentlichen Gebäuden angerichtet: Denkmalschutz und Stadtplanung sind zu Disziplinen degradiert worden, „die das Gewese der von Baunormen durchseuchten Infrastrukturtüftelei über die Ästhetik erhebt.“ Vgl. die Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst (TU Dortmund) in der Süddeutschen Zeitung vom 22.1.2014.
87) Vogelsang: Bielefelds Weg ins Industriezeitalter, S. 210 ff.
88) Vgl. dazu ausführlich Lothar Machtan: Kaisersturz. Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918, Darmstadt 2018; Sven-Felix Kellerhoff, Lars-Broder Keil: Lob der Revolution. Die Geburt der deutschen Demokratie, Darmstadt 2018; Friedhild den Toom: Wilhelm II. in Doorn, Doorn3 2013; Matthias von Hellfeld: Das lange 19. Jahrhundert. Zwischen Revolution und Krieg 1776 bis 1914, Bonn 2015, und Joachim Wibbing: Als der Kaiser auch in Bielefeld abdankte, in: Neue Westfälische vom 9.11.2018.
89) Für vielfache Hilfe und Hinweise bei der Recherche zu diesem Aufsatz danke ich aufs Herzlichste Georgia Beaugrand, Dagmar Giesecke, Jonas Hartz, Hartmut Meichsner, Gerhard Renda, Kerstin Stockhecke, Lucia Thiede, Joachim Wibbing und Anna Zika.